Textbibel 1899 1Nun aber höre, Hiob, meine Rede und allen meinen Worten leih' dein Ohr. 2Siehe doch, ich thue meinen Mund auf, und meine Zunge redet unter meinem Gaumen. 3Geradem Sinn entstammen meine Worte, und was meine Lippen wissen, sprechen sie lauter aus. 4Der Geist Gottes hat mich geschaffen, und des Allmächtigen Odem belebt mich. 5Wenn du kannst, so widerlege mich; rüste dich gegen mich, stelle dich zum Kampf. 6Siehe, ich stehe zu Gott, wie du; aus gleichem Thon wie du bin ich geschnitten. 7Nein, Furcht vor mir braucht dich nicht zu erschrecken, und meine Hand soll dich nicht niederdrücken. 8Allein, vor meinen Ohren sagtest du - ich vernahm den Laut deiner Worte: 9"Rein bin ich, ohne Missethat, bin lauter und frei von Schuld. 10Fürwahr, Feindseligkeiten erfindet er gegen mich, erachtet mich für seinen Feind, 11legt meine Füße in den Block, beobachtet alle meine Wege." 12Sieh, darin hast du Unrecht, erwidere ich dir; denn Gott ist größer als ein Mensch. 13Warum hast du gegen ihn gehadert, daß er auf alle deine Worte keine Antwort erteile? 14Denn freilich spricht Gott einmal, auch zweimal - aber man beachtet es nicht. 15Im Traum, im Nachtgesicht, wenn tiefer Schlaf auf die Menschen fällt, im Schlummer auf dem Lager, 16dann öffnet er der Menschen Ohr und drückt ihrer Verwarnung das Siegel auf, 17von seinem Thun den Menschen abzubringen und den Mann vor Hoffart zu schirmen. 18Er bewahrt seine Seele vor der Grube und sein Leben, daß es nicht durch Geschosse dahinfährt. 19Auch wird er gezüchtigt durch Schmerz auf seinem Lager; ununterbrochen wütet der Kampf in seinem Gebein. 20Da läßt ihm sein Lebenstrieb das Brot zum Ekel werden, und seine Seele die Lieblingsspeise. 21Sein Fleisch schwindet dahin, daß es kein Ansehen mehr hat, unscheinbar wird sein dürres Gebein, 22so daß seine Seele dem Grabe nahe ist, und sein Leben den Todesengeln. 23Wenn dann ein Fürsprech-Engel für ihn da ist, einer von den Tausend, dem Menschen seine Pflicht zu verkündigen, 24und er sich seiner erbarmt und spricht: "Erlöse ihn und laß ihn nicht in die Grube hinabfahren; ich habe das Lösegeld erhalten" - 25dann strotzt sein Leib von Jugendfrische, er kehrt zurück zu den Tagen seiner Jugendkraft. 26Er fleht zu Gott, und der erweist ihm Gnade, läßt ihn sein Antlitz unter Jauchzen schauen und vergilt so dem Menschen sein richtiges Verhalten. 27Er singt vor den Leuten und spricht: "Ich hatte gesündigt und das Recht verkehrt, doch wurde es mir nicht vergolten. 28Er hat meine Seele erlöst und sie nicht zur Grube hinfahren lassen, und mein Leben erfreut sich am Licht." 29Sieh, dies alles thut Gott mit dem Menschen zweimal, dreimal, 30seine Seele der Grube zu entreißen, daß er vom Lichte des Lebens umleuchtet werde. 31Merke auf, Hiob, höre mir zu; schweige und laß mich reden! 32Hast du Worte, so widerlege mich; sprich nur, denn gern gäbe ich dir Recht! 33Wo nicht, so höre du mir zu; schweige, damit ich dich Weisheit lehre. Textbibel des Alten und Neuen Testaments, Emil Kautzsch, Karl Heinrich Weizäcker - 1899 Bible Hub |